Im Licht des Glühwürmchens, Kapitel 2 - Longae Noctis

Kapitel 2 – Longae Noctis – Teil 3

Wenn es in dem Hotel gute Möglichkeiten zum Verstecken gegeben hätte, dann wäre dieser Stock wohl der mit Abstand schlechteste gewesen. Zurück ins Treppenhaus war nun aber auch nicht mehr möglich ohne irgendwie entdeckt zu werden. Die Männer hatten sicherlich schon gemerkt, dass sie nicht mehr in dem anderen Stockwerk waren. Nach kurzem Zögern und einem erneuten Blick über den Flur beschlossen sie trotz allem in den Speiseraum nach Schutz zu suchen. So viel schlechter als in den anderen Räumen konnte es auch nicht sein. Lang gezogene Tische waren mit großen weißen Tischdecken bezogen, die bis auf den Fußboden hinab hingen. Auch wenn dies keine wirklich sichere Stelle sein war, war es definitiv besser sich unter den Tischen zu Verstecken, als im Gang zu warten. Schnell huschten sie unter einen Tisch und verharrten dort; wartend auf den Moment, dass die Mörder den Raum oder zumindest das Stockwerk betreten würden.

Doch nichts geschah.

Minutenlang blieb es vollkommen still bis ein lautes Fiepen, gefolgt von einem dumpfen Pochen, die trügerische Ruhe durchbrach. Eine tiefe Männerstimme mit einem sehr starken Dialekt erfüllte nun alle Räume.

„Mädchen, Mädchen… ihr solltet euch was schämen! Lasst einfach eure Freunde im Stich… einfach alleine mit ihrem Schicksal.“

Bis jetzt war es keiner der beiden aufgefallen, dass alle Zimmer mit Lautsprecher ausgestattet waren. Ein dumpfes Schleifen, so als ob ein schwerer Sack mühsam über den Boden geschleift wurde, erklang nach einer kurzen Pause. „Sage was Kind!“, brüllte er fast in das Mikrofon hinein. Doch statt Wörtern dröhnte nur heiseres Schluchzen durch die Lautsprecher. Die Simme, die dann erklang kam den Freundinnen nicht bekannt vor. „Bitte tuen sie mir nichts! Bitte! Wir ha…“, bevor sie das Wort beenden konnte unterbrach ein lautes Klatschen die Stimme. Ohne Vorwarnung oder die Chance, dass jemand reagieren konnte, ertönte ein Schuss durch die Lautsprecher. Noch bevor sich die Stille wieder ausbreiten konnte folgten weitere Schüsse.

Als auch diese verklungen waren, knackte erneut die Männerstimme aus dem Lautsprecher: „Das was eurer Freundin gerade passiert ist, wird noch vielen anderen passieren, wenn ihr nicht sofort euren Arsch hier her bewegt!“

Quälend setzte nun eine unangenehme Stille ein… beide Freundinnen waren von den Ereignissen vollkommen überrumpelt und es dauerte einige tiefe Atemzüge bis sich Sœlve ein wenig fing.

„Das meint der ernst, oder?“ fragte sie und spürte wie sich ihre Stimme brüchig wurde.

„Ich befürchte doch…“

Die verstreichenden Sekunden fühlten sich eine kleine Unendlichkeit an. In unregelmäßigen Abständen zerrissen immer wieder, durch die Lautsprecher übertragene, Schüsse die sonstige Stille. Sie waren vollkommen ratlos und wussten nicht was sie tun sollten. Nach gefühlten hundert Schüssen wurde es dann vollkommen still und es blieb nur noch eine gespenstische, unwirkliche Atmosphäre zurück.

„Was passiert da nur?“

„Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn wir einfach nachschauen gehen…“, antwortete Lilly mit einem leichten Zittern in der Stimme. Bis jetzt hatte Sœlve noch nicht oft erlebt, dass sie derart nervös war, was sie wiederum noch mehr beunruhigte. Um sich ein wenig zu beruhigen ergriff sie die Hand ihrer Freundin, die auch sofort ihren Griff erwiderte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, oder sich gar anzuschauen, erhoben sie sich und verließen den Raum um ins Treppenhaus zu gehen. Nach wie vor leuchteten ununterbrochen die roten „E“s wie aus Hohn an den Aufzügen. Da sie keinen anderen Ausweg sahen betraten sie vorsichtig, in der Erwartung, dass die Mörder irgendwo auf sie warten würden, das Treppenhaus. Stufe um Stufe gingen sie die Stockwerke hinab, aber zu ihrer eigenen Verwunderung wurden sie mit jeder Stufe ein wenig ruhiger. Ihnen wurde bewusst, dass ihnen eigentlich nicht so viel passieren konnte. Auch wenn sie wie unschuldige Mädchen aussahen, so hatten sie schon einiges erlebt. Allerdings drang ein leises Stöhnen das Treppenhaus empor, welches so schrecklich klang, das es ihnen einen Schauder über den Rücken laufen und ihre Herzen schneller schlagen ließ.

Doch egal was sie sich vorher vorgestellt hatten, hätte sie nichts auf den Anblick der sie erwartete, als sie den fünften Stock erreichten, vorbereiten können. Und dieser traf sie wie ein Schlag in die Magengegend. Sœlve schrie schrill vor Entsetzen auf und Lilly musste sie fest an sich drücken, damit sie sich langsam wieder beruhigen konnte. Entlang der Treppen standen Menschen, wie Zombies nebeneinander aufgereiht sowohl am Geländer als auch an den Wänden. Nur ein kleiner Spalt, durch den jeweils nur eine von ihnen durchpassen würde, war zwischen ihnen frei. Alle hatten die Köpfe in ihre Richtung gedreht und starrten sie mit leeren, toten Blicken aus den schwarzen Höhlen ihrer Augen an. Nun sahen sie auch die Quelle des schaurigen Stöhnens; aus weit geöffneten Mündern klang ununterbrochen dieses schreckliche Geräusch. Alles wirkte in dem Moment so, als wären sie in einem schrecklichen Horrorfilm ohne ein mögliches Happy End gefangen.

Wieder dauerte es ein wenig, bis die beiden Freundinnen den Mut fanden die Treppe weiter hinabzusteigen. Da sie niemals nebeneinander zwischen diesen Menschen gehen konnten ergriff Lilly wieder Sœlves Hand und ging eine Treppenstufe vor sie.

Sie warteten auf eine Reaktion der Personen, doch außer dass diese toten Augen sie anschauten, als wollten sie sie mit ihren Blicken fixieren, passierte nichts. Vorsichtig betrat Lilly die erste Stufe auf der bereits zwei Frauen standen. Grün-gräuliche Haut, die mit roten Flecken übersät war, zeichnete Reste der Konturen, welche die Gesichter einmal gehabt haben mussten, nach. Fauler Atem drang mit dem Stöhnen aus den nach wie vor weit geöffneten Mündern. Sanft drückte Lilly die Hand ihrer Freundin um sie dazu zu bewegen mit ihr weiter zu gehen. Sofort verstand sie was es bedeuten sollte und folgte vorsichtig Schritt für Schritt.

Alle Personen, die auf den Stufen des Treppenhauses standen, sahen sich durch diese Verfärbung der Haut ähnlich. Nur durch die Kleidung waren sie noch voneinander zu unterscheiden. Sie hatten nun schon ein paar Stufen, und damit auch ein paar dieser Personen, hinter sich gebracht und nach wie vor passierte ihnen nichts. Nur stellten sie bei einem kurzen Blick hinter ihre Schultern fest, das sich diese Wesen, sobald sie an ihnen vorbei waren, nach ihnen umdrehten, um ihr schreckliches  Geheule immer weiter in ihre Richtung zu senden. Auch schienen sie immer lauter zu werden, je weiter sie sich dem Erdgeschoss näherten. Unwillkürlich schlugen ihre Herzen mit jeder einzelnen Treppenstufen höher, nachdem ihnen bewusst geworden war, dass dies wie eine Ankündigung für diese Mörder war. Die Surrealität wurde immer schlimmer bis sie bereits nach kürzester Zeit nicht mehr sagen konnten in welchem Stockwerk sie sich befanden oder gar wie viel Zeit vergangen war. In der Zwischenzeit war das Geheule zu einem beinahe ohrenbetäubenden Gebrüll angewachsen.

Ohne zu wissen wie sie es bei diesem Chaos geschafft hatten nicht vollkommen die Nerven zu verlieren, standen sie auf einmal vor einer schweren, silbernen Eisentür auf die mit dicker schwarzer Farbe ein E aufgemalt war. Schlagartig verstummte das Gebrüll und die nun einsetzende Stille war noch schlimmer als die Geräusche, die sie bis eben begleitet hatten.

Sœlve fasste den Griff der Tür an, war aber nicht darauf vorbereitet, dass von diesem eine Eiseskälte ausging. Fast augenblicklich zog sie ihre Hand zurück, versuchte es jedoch nach wenigen Augenblicken erneut. Dieses Mal war die Tür jedoch nicht mehr so kalt sondern fühlte sich vollkommen normal an.

Langsam breitete sich, wie von alleine, ihr grünes Leuchten von ihrem Rücken über sie aus. Auch Lilly, die nach wie vor ihre Hand hielt, wurde von dem Schild umhüllt. Mühsam versuchte Sœlve die Klinke nach unten zu drücken, was aber nur mit kaum ging. Daher bemühten sie sich gemeinsam die Tür zu öffnen, die sich beinahe so anfühlte, als ob jemand auf der anderen Seite ziehen würde, damit sie geschlossen bliebe.

Schließlich hatten sie es geschafft und betraten den Flur. Bevor sie auch nur die Chance hatten sich umzuschauen, setzte ein lautes Geschrei ein und die ersten Kugeln flogen in ihre Richtung. Nur Sekunden später feuerten Maschinengewehre ununterbrochen eine Kugel nach der anderen ab. Auch wenn Sœlves Schild einen sehr starken Schutz bildete, wurden sie mehrfach getroffen. Zwar konnte keine der Kugeln sie ernsthaft verletzen, da durch das Schild zu viel Energie abgefangen wurde. Trotzdem bildeten sich dort, wo die Kugeln sie trafen, schmerzhafte rote Flecken auf der Haut. Sœlve benühte sich zwar ihr Schild noch stärker werden zu lassen, aber waren einfach waren einfach zu viele Kugeln um vollkommen abgehalten zu werden.