Im Licht des Glühwürmchens, Kapitel 2 - Longae Noctis

Kapitel 2 – Longae Noctis – Teil 2

Mit einem lodernden Feuer im Blick ihrer Freundin, den Sœlve noch niemals zuvor bei ihr gesehen hatte, antwortete sie nur mit einem kurzen, „Oh ja! Das war ein einmaliges Festmahl!“.

Zwar hatte sie mit einer Aussage gerechnet, die das betätigen würde, doch diese Antwort, und vor allem der Ausdruck in ihren Augen sorgten dafür, dass ihre Müdigkeit sofort verschwunden war. Die Angst hatte sich als Gänsehaut auf ihrem ganzen Körper ausgebreitet. Als Lilly dies sah, tat es ihr sofort leid. Sie rückte ganz nah an sie heran, um sie mit einem Lächeln in in ihre Arme zu nehmen und ihr einen leichten Kuss auf die Wange zu geben.

Natürlich war es Sœlve vollkommen bewusst, dass ihre Freundin ein Vampir war, und somit auch immer wieder Blut benötigen würde, doch verdrängte sie diesen Teil ihres Wissens irgendwo in ihrem Kopf, an den sie niemals in ihren Gedanken vorstoßen wollen würde. Bis auf dieses eine Thema gab es absolut nichts, was die beiden jemals einander vorenthalten hatten oder nicht sofort der anderen erzählt hätten. Vielleicht würden sie irgendwann einmal den passenden Zeitpunkt finden um darüber sprechen; nun war aber, wie schon so viele Male zuvor, weder der richtige Augenblick geschweige denn der richtige Ort dafür.

Um sie weiter zu beruhigen löste Lilly die Umarmung und nahm dafür ihre Hand in die eigene. Wie von alleine verkreuzten sich sofort ihre Finger und ganz sanft lies Lilly ihren Daumen über die Hand ihrer Freundin streifen. Sœlve hatte sich zwar schon von dem kleinen Schock erholt und sich auch wieder gefasst, genoss aber die sanften Berührungen um so mehr.

Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, beendete der Professor seinen Vortrag und teilte  Arbeitsbögen für mehrere Gruppen aus.

„Na was für ein krönender Abschluss eines angenehmen Tages. Und so schnell kann die Laune ansteigen!“, bemerkte Sœlve mit einem sarkastischen Ton in der Stimme als sie nach vorne ging um sich in eine Gruppe einteilen zu lassen.

Den Gesichtern der anderen nach zu schlussfolgern hatte niemand mehr auch nur noch den Hauch von einer Motivation. Die Aufteilung der Gruppen sorgte, bis auf die Tatsache, dass die beiden Freundinnen zusammen bleiben durften, auch nicht für die wahre Begeisterung.

Auf dem Weg in den Raum, der der Gruppe zugewiesen war, schlichen sie so langsam wie sie nur konnten und kamen als die Letzten in dem Raum an. Entgegen ihrer Erwartung kannten sie niemanden von den restlichen Teilnehmern. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde fingen sie an die Zettel zu bearbeiten und die Aufgaben gemeinsam zu lösen. Jeder von ihnen hatte andere Aufgaben bekommen, damit sie am Ende alle nur die Ergebnisse auf dem Whiteboard zusammentragen konnten und nicht jeder jede Aufgabe alleine lösen musste. Erstaunlicher Weise füllte sich das Board dann doch deutlich schneller, als sie es erwartet hätten.

Sie saßen gemeinsam um einen großen Tisch herum. Wohl aus langer Weile nahm irgendwann einer der anwesenden Jungs den Hörer von einem Telefon, das in der Mitte des Tisches stand, ab und drückte ihn sich ans Ohr. Schlagartig wurde sein Gesicht kreidebleich und sein Mund klappte hinunter. Was auch immer am Telefon war, schien ihm Angst zu machen. Sofort reagierte Lilly und drückte die Taste für den Lautsprecher. Mit dem Zeigefinger vor ihrem Mund deutete sie an, dass nun alle sehr still sein sollten. Doch das was auf der anderen Seite der Telefonleitung passierte, ließ auch alle anderen bleich erstarren. Die Stimme einer wimmernden Frau klang leicht verzerrt aus dem Lautsprecher. Mehrfach wurde sie von einem auf Französisch brüllenden Mann unterbrochen. Als die Frau nicht mehr redete sondern nur noch schluchzte knallte es auf einmal wie ein Donnerschlag. Sechs mal knallte es bis es schließlich wieder vollkommen still war.

Als ihnen bewusst wurde, dass es Schüsse gewesen waren und auf der anderen Seite der Leitung gerade jemand erschossen wurde, fing ein bis daher vollkommen unscheinbares Mädchen an laut zu kreischen. Leider lag der Hörer nach wie vor neben dem Telefon und der Schrei kam auch auf der anderen Seite der Telefonleitung an.

Ein gefluchtes „MERDE!“ erklang durch den Lautsprecher. Erstmal geschah nichts, doch dann zerbarst das Glas des Fensters. Wie ein kleiner Windstoß zischte eine Kugel nur um Haaresbreite an dem Kopf eines Mädchens vorbei. Panisch schauten sie sich um, um festzustellen woher der Schuss gekommen war. Als sie aus dem Fenster schauten mussten sie mit Ansehen wie sich Männer in einem Raum im gegenüberliegenden Turm aufstellten und ihre Waffen erhoben hatten.

Sœlve reagierte so schnell sie konnte und brüllte nur noch aus vollster Kehle, dass alle sofort auf den Boden sollten. Schon während sie dies schrie pfiffen Ihnen die ersten Kugeln um die Ohren. Zum Glück aller Personen im Raum war der Tisch aus massiven Metall und bot für’s erste Schutz. Zwar würde dieser nicht ewig halten, aber etwas Besseres hatten sie nicht. Unentwegt durchsiebten die Kugeln die große Scheibe, die inzwischen nur noch ein Spinnennetz mit riesigen Löchern war. Laut krachend brach es in sich zusammen und verpuffte zu Staub.

Auch der Tisch hatte in der Zwischenzeit beängstigend große Dellen bekommen und allen war klar, dass er nicht mehr lange halten würde. Wenn sie nicht schnell einen Weg fanden von diesem Tisch wegzukommen würde früher oder später die erste Kugel den Tisch durchdringen. Als ob jemand ihre Gedanken erhört hätte, wurde es mit einem Klirren dunkel im Raum. Eine der Kugeln hatte die Deckenlampe getroffen. Statt von dem künstlichen Licht wurde der Raum nun nur noch vom hellen Mondlicht beleuchtet. Wie auf ein Kommando hin versiegte der Kugelhagel schlagartig bis nur noch vereinzelte Kugeln durch den Raum flogen. Wie der Tisch waren auch der Boden, sowie die dem Gegenüber der ehemaligen Fensterwand liegende massive Wand wie ein Schweizer Käse mit schwarzen Löchern gesiebt.

Wenn sie es jetzt nicht wagten, würde sich ihnen überhaupt eine weitere Gelegenheit bieten? Lilly und Sœlve schauten sich kurz an als sie ihre Hände ergriffen. Ein sattes grünes Schimmern wuchs wie Flügel aus Sœlves Rücken heraus um die beiden Mädchen im Hauch eines Augenblicks vollkommen einzuhüllen.

Leise, fast flüsternd, zählten sie gemeinsam rückwärts von drei nach Null. Als sie zeitgleich die Null ausgesprochen hatten, sprangen sie unter dem Tisch hervor und rannten so schnell sie nur konnten aus dem Raum heraus. Wie durch ein Wunder schafften sie es die Tür zu erreichen ohne, von einer der umherirrenden Kugeln, getroffen zu werden. Die Flucht war auch den Schützen aus dem Nachbarturm nicht entgangen, weshalb der Beschuss auf das Zimmer nun endgültig aufhörte. Die Stille ließ die beiden Freundinnen kurz inne halten. Ganz vorsichtig spähten sie in das Zimmer hinein. Als eine Kommilitonin vorsichtig unter dem Tisch hervorschaute und einen Daumen in die Höhe streckte waren sie ein wenig beruhigter. Hatten die Schützen geglaubt, dass sie sich alleine im Raum befunden hatten?

Ohne weiter nachzudenken drehten sie sich um um den weißen Flur entlang zu laufen. Sie ließen Raum um Raum hinter sich zurück bis sie endlich bei den Fahrstühlen ankamen. Doch da war etwas alles andere als richtig. An allen vier Aufzügen leuchtete ununterbrochen ein „E“ im kräftigen Rot. Auch nach mehrmaligen drücken aller Knöpfe veränderte sich weder die Anzeige noch öffneten sich Türen, um sie hineinzulassen.

Im selben Moment schauten sie sich an und beiden gingen erschreckende Gedanken durch den Kopf. Wie es aussah hatten wohl nicht alle Schützen aus dem gegenüberliegenden Turm nur da gestanden und auf sie gefeuert sondern auch in diesen Teil des Gebäudes vorgedrungen und die Fahrstühle außer Kraft gesetzt. Die Türme hatten jeweils 18 Stockwerke, von denen sie sich gerade im achten Stockwerk befanden. Über ihnen waren also noch 10 Stockwerke und unter ihnen befanden sich maximal 8 Stockwerke tiefer die Mörder.

Lilly meinte kurz: „Wenn sie die Fahrstühle ausgesetzt haben, dann werden sie entweder durch das Treppenhaus nach oben kommen oder darauf warten, dass wir uns ergeben… egal was von beiden, wir stehen hier gerade rum wie Falschgeld.“

„Dann sollten wir so schnell wie möglich von hier verschwinden!“

Schon während sie die Tür zum Treppenhaus öffnete ergriff sie die Hand ihrer Freundin. Sofort hörten sie Stimmen und Schritte die Treppen höher kommen. Dies lies ihnen nicht mehr viel Zeit, überhaupt zu handeln. Daher rannten sie, so leise sie konnten, die Treppen nach oben. Vollkommen außer Atem verließen sie im 17. Stockwerk das Treppenhaus. Auch hier befanden sich diverse Konferenzräume sowie einer der Speisesäle des Hotels. Alle Türen zu diesen Räumen waren, wie auch in allen anderen Stockwerken aus Glas und ermöglichten, zu ihrem Bedauern, einen guten Einblick in die jeweiligen Zimmer

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