Im Licht des Glühwürmchens, Kapitel 2 - Longae Noctis

Kapitel 2 – Longae Noctis – Teil 1

Als Lilly wieder einmal am Schwarzen Brett der Universität stöberte, entdeckte sie eine kleine, fast unscheinbare Anzeige. Sie pries eine sehr günstige Studienreise in die Stadt der Liebe an. Schon viele Male hatten sie und ihre beste Freundin darüber gesprochen einmal gemeinsam diese Stadt erkunden zu wollen, da Sœlve noch nie dort gewesen war.

Ohne weiter zu zögern lief sie mit der freudigen Nachricht in ihr Zimmer, dass sie mit ihrer Freundin zusammen bewohnte. Diese lag, wie Lilly es bereits erwartet hatte, auf dem Bett und las in einem dicken Buch, das sie vor einiger Zeit entdeckt hatte und seitdem immer wieder las. Ihre langen roten Locken fielen über ihren Kopf auf ihre fast weißen Schultern. Das Buch musste wirklich spannend sein, da Sœlve nicht einmal bemerkte wie sie den Raum betrat. Lilly sprang beherzt auf ihr Bett und landete halb auf ihr drauf. Mit einem hellen Schrei erschreckte sich Sœlve als sie aus der Fantasiewelt des Buches herausgerissen wurde.

Noch bevor sie wusste was gerade geschah, drückte Lilly ihr einen zarten Kuss auf die Wange und strahlte sie mit riesigen Augen an. Je mehr Lilly von der Reise erzählte, desto größer wurden Sœlves Augen.

Schon kurze Zeit später hatten sie sich für die Reise angemeldet, die bereits Ende des Monats losgehen sollte. Für beide war es eine wunderschöne Vorstellung zwei Wochen lang so etwas wie einen gemeinsamen Urlaub zu verbringen. Wie in Windeseile verflogen die Tage und ehe sie sich versahen, fanden sich die Freundinnen am Flughafen von Paris wieder. Der Flug verlief ohne irgendwelche Komplikationen. Jedes Mal wenn Sœlve mit einem Flugzeug flog hatte sie dieses eine spezielle Gefühl in der Magengegend, das sie nicht so richtig beschreiben konnte. Sie konnte ohne Probleme kurze Strecken aus eigener Kraft fliegen. Das Gefühl, wenn sie vollkommen losgelöst vom Boden durch den Wind flog, war für sie die unendliche Freiheit. Vermutlich ging es ihrer Freundin ähnlich, wenn sie ihre Kräfte voll ausspielte, darüber gesprochen hatten sie jedoch noch nie zuvor. Verträumt schaute sie in Lillys Richtung, die ihren Blick erwiderte und für den Hauch eines Augenblicks ihre Augen zu den violetten Katzenaugen werden ließ. Wie jedes Mal hatte sie das Gefühl sich vollkommen in den Augen ihrer Freundin zu versinken und die Welt um sie herum wurde kurz nur noch unwichtig.

Leider mussten die beiden mit ihrer Gruppe den Reisebus bekommen, der sie zum Hotel bringen sollte. Dieser hielt, zu ihrer Freude, unübersehbar direkt vor dem Flughafen und fuhr nach einigen Minuten Aufenthalt los. Mehrfach hatten die Freundinnen Angst, dass der Bus einen Unfall bauen würde, doch unbeschadet erreichten sie das Hotel. Mit solch einem Gebäude hätten sie nicht einmal im Traum gerechnet.

Zwei schwarz verglaste Türme erhoben sich aus einem gemeinsamen Grundgebäude. Das edle Versprechen, dass das Hotel von außen gab wurde von der Innenausstattung nur noch bestätigt. Ein gigantisches, mit schwarzen Samt bezogenes Doppelbett wartete in dem großen Zimmer auf die beiden. Nach einem kurzen Blick zwischen ihnen landeten sie gleichzeitig auf dem Bett, das noch viel gemütlicher war, als es aussah.

Sie waren nun endlich gemeinsam in einer der schönsten Städte der Welt angekommen. Da es draußen noch warm und hell war beschlossen sie, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Das offizielle Studienprogramm sollte eh erst am nächsten Tag losgehen. Nachdem sie sich schnell frisch gemacht hatten, waren sie auch schon auf den Weg.

Eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten, der Eiffelturm, den sie in einiger Entfernung sehen konnten, sollte ihr erstes Ziel sein. Gemütlich spazierten sie an der Seine entlang, die sich direkt neben dem Hotel entlang schlängelte. Ein angenehmer Geruch nach Sommer und Wärme lag in der Luft. Wenn sie vorher noch nicht glücklich und entspannt waren, so waren sie es spätestens jetzt. Lauter Händler boten an kleinen Ständen alle möglichen Souvenirs an und sprachen sie immer wieder freundlich an. Insgeheim war Sœlve unendlich froh, dass ihre Freundin fließend französisch sprechen konnte und sie selbst ihre doch sehr eingerosteten Fähigkeiten nicht allzu sehr strapazieren musste.

Als sie endlich vor dem Eiffelturm standen, konnte sich Sœlve einen blöden Spruch nicht verkneifen, den Lilly mit einem leichten Stupser mit ihrem Ellenbogen in ihre Seite beantwortete. Übertrieben laut spielte sie sich auf, dass sie jetzt ganz bestimmt dank der schlimmen Schmerzen sterben müsse. Nachdem Lilly anfing, herzhaft zu Lachen fiel auch Sœlve mit ein. Sie entschieden sich dagegen sich den Massen anzuschließen, die den Turm besteigen wollten. Konnten sie doch einfach nachts wiederkommen, wenn sie deutlich ungestörter waren als am Tage.

Da sie nicht wussten wohin sie gehen konnten, ließen sie sich mit der Menge treiben und ließen die vielen Eindrücke auf sich wirken. Während sie noch durch die Gegend schlenderten, fing der Himmel bereits an sich in ein sattes Rosa zu verfärben. Es würde nicht mehr lange dauern bis es dunkel wurde und daher beschlossen sie erstmal in Richtung des Hotel zurückzukehren. Auf dem Weg kamen sie aber an einer, ihnen nett erscheinenden, Bar vorbei und saßen, wie selbstverständlich, aus ihnen unerklärlichen Gründen, wenige Augenblicke später an der Bar und bestellten sich einen Drink.

Die kalten Getränke taten in der Wärme des Abends so gut, dass sie nach und nach noch den einen oder anderen Drink zu sich nahmen.

Als sie am nächsten Morgen gemeinsam im Hotelzimmer aufwachten, konnten sie sich auch beim besten Willen nicht mehr daran erinnern wie oder gar wann sie wieder ins Hotel gekommen waren. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und beiden war klar, dass sie verschlafen hatten. Nachdem Lilly einen kurzen Blick auf ihre Uhr geworfen hatte, stellten sie fest, dass sie tatsächlich den ganzen Vormittag geschlafen hatten. Für die Führung, die am Morgen stattfinden sollte, war es natürlich bereits viel zu spät. Warum nur hatte ihnen niemand Bescheid gesagt? Nach kurzen Überlegungen was sie mit dem angebrochenen Tag tun konnten, beschlossen sie einfach wieder an die Seine zu gehen und dort in einem Café zu frühstücken. Wieder dauerte es nicht lange bis sie wieder unterwegs waren und die Gegend erkundeten.

Obwohl sie kein bestimmtes Ziel hatten fanden sie sich nach einiger Zeit wieder vor dem Eiffelturm wieder. Auch um diese Uhrzeit war schon alles voll mit Touristen. Vor den Aufzügen und Treppen hatten sich bereits lange Schlangen gebildet. Wie auch am Vorabend war es ihnen einfach viel zu voll mit Menschen. Da sie nicht bei den Menschenmassen bleiben wollten, streiften sie ziellos durch die Gegend, bis sie auf einmal auf ein kleines, gemütliches Café stießen. Beim Betreten stellten sie fest, dass es nur sechs kleine Tischchen aus schwarzen Holz mit jeweils zwei dazu passenden Stühlen gab. Zu ihrem Glück fanden sie noch ein freies Tischchen in der hintersten Ecke. Die einzige Frau, die in dem Café arbeitete, lächelte die beiden mit einem wissenden Blick an und brachte ihnen, ohne dass sie zuvor bestellt hatten, einen Korb mit Brötchen, Marmelade und anderen Leckereien, die das Herz höher schlagen ließen. Alles schmeckte so gut, dass die beiden sich den Bauch vollschlugen bis sie das Gefühl hatten, dass sie sich hinausrollen mussten. Als die beiden das Café verließen, warf die Frau ihnen noch, mit einem vor Freude strahlenden Gesicht, eine Kusshand hinterher.

Sœlve und Lilly amüsierten sich darüber, während sie kichernd die Straße betraten. Beim Bummeln in den Boutiquen der Stadt verging die Zeit leider viel zu schnell. Nachdem sie schon die Führung am Morgen verpasst hatten, war es doch wichtig, dass sie rechtzeitig zu der Vorlesung am späteren Nachmittag wieder im Hotel sein würden.

Gerade noch rechtzeitig erreichten sie das Hotel und suchten den Konferenzsaal, der nur für ihre Gruppe reserviert wurde. Um anschließend Diskussionen in kleinen Kreise führen zu können waren auch ein paar kleinere Besprechungsräume mit angemietet. So stürmten sie noch schnell in den großen Saal und entdeckten in der letzten Reihe noch zwei freie Plätze. Der Professor, der vor der ersten Reihe an einem Pult stand, räusperte sich etwas lauter um ihnen seinen Missmut zu zeigen, bevor er anfing einen langen Vortrag zu der Geschichte der Französischen Revolution zu halten. Auch wenn das Thema an sich wirklich spannend war, war die monotone Stimme des Professors so einschläfernd, das bereits nach kurzer Zeit die ersten wegdösten. Um nicht vollkommen von dieser Stimme eingeschläfert zu werden rückte Sœlve ein wenig näher an ihre Freundin heran und fragte sie mit flüsternder Stimme: „Sag mal… da hast du doch schon gelebt. Da warst du doch bestimmt auch dabei, oder?“

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