Im Licht des Glühwürmchens, Kapitel 1 - Cicindelae Spelunca

Kapitel 1 – Cicindelae Spelunca – Teil 2

Der Ausblick war so schön, dass die beiden eine kleine Pause machten. Von oben war zu erkennen, dass am Fuße des Steinbruches ein kleiner, etwas versteckter Platz war, an dem sie bestimmt gut picknicken konnten. Da sie schnell zu diesem Platz kommen wollten, bestiegen sie wieder ihre Räder und folgten dem Weg, der sich abermals durch das Blumenmeer schlängelte. Immer wieder wuchsen ihnen unbekannte Sträucher mit riesigen Blättern zwischen den Blumen, so als ob sie ein wenig natürliches Chaos in die Schönheit der Blumen bringen wollten.

Zwischendurch konnten sie auch immer wieder bunte Libellen entdecken, die ihre Kreise über dem Feld zogen. Eine knallgrüne Libelle flog auf Lillys Kopf und fuhr einige Meter als „blinde Passagierin“ mit. Sœlve, die auf diesem schmalen Weg hinter ihrer Freundin fuhr, dachte sich nicht zum ersten Mal wie erstaunlich zutraulich die Tiere doch zu Lilly waren.

Bevor sie jedoch weiter in ihren Gedanken versinken konnte, ging der Weg auf einmal steil mit scharfen Kurven nach unten. Für Fahrräder war dieser Weg sicherlich nicht angelegt worden. Nur wenige Augenblicke später erstreckte sich der Steinbruch vor ihnen. Ein großes Schild wies darauf hin, dass Fahrräder nicht gestattet waren. Sie schlossen ihre Räder an einem Zaun an und begaben sich in den Steinbruch. Ein mit Kies und Schotter bedeckter Weg führte immer weiter nach unten. Kleine Schilder an den Seiten zeigten auf, in welcher zeitlichen Epoche sie sich gerade von der Tiefe her befanden und welche Tiere zu der Zeit gelebt haben. Ein kleiner See befand sich am Fuße der Grube in dem sich Felsbrocken zu kleinen mit Gras, Moos und Rosen bewachsenen Inseln geformt hatten.

Nach einigem Suchen hatten sie endlich den kleinen Platz gefunden, den sie bereits von hoch oben gesehen hatten. Sie breiteten eine Decke aus und aßen ihr selbst gemachtes Essen. Nach der doch recht langen Fahrt tat es gut ihre ausgehungerten Mägen mit Pizzamuffins, Erdbeertorte und Mandel-Oliven zu füllen. Sobald die beiden den Steinbruch betreten hatten, waren beinahe schlagartig sämtliche Tiergeräusche verebbt, so als ob die Tiere misstrauisch auf Sœlve reagierten. Je länger die Mädchen aber dort saßen und friedlich ihren Proviant verzehrten, desto mehr erfüllt sich die Luft wieder mit dem Gesang der Vögel und dem rhythmischen Quaken der Frösche, die sich einen Wettstreit mit der gefiederten Konkurrenz zu liefern schienen. Anscheinend war den Tieren klargeworden, dass keine Gefahr von dem Rotschopf ausging. So alberten sie viel herum und genossen die gemeinsame Zeit ohne eine andere Menschenseele weit und breit.

Als die Sonne anfing unterzugehen und das Licht die Umgebung in ein zartes Rosa tauchte, fingen Grillen in der Ferne an zu zirpen und gaben der Situation einen romantischen Hauch. Es war langsam an der Zeit die Sachen wieder einzupacken, als Lilly wieder das Reh von früher entdeckte. Vorsichtig stupste sie Sœlve an, die sich nun sehr freute es auch zu sehen. Das Reh stand ganz ruhig da und schaute so in ihre Richtung, als ob es sie direkt anschauen wollte. Mit ganz langsamen Schritten kam es auf sie zu, blieb nur wenige Meter von ihnen entfernt stehen und schaute sie einfach nur an. Genau so langsam wie es auf sie zugekommen war, ging es nun Schritt für Schritt rückwärts.

„Ich glaube es will, dass wir ihm folgen“, meinte Sœlve leicht gedankenverloren. Ohne weitere Worte standen sie von ihrem gemütlichen Baumstamm auf und folgten dem Reh in einen Bereich des Steinbruchs, an dem nur Büsche und Sträucher wuchsen. Ein von außen unsichtbarer Pfad schlängelte sich durch das Dickicht, bis vor ihnen eine Höhle auftauchte, die sie vorher gar nicht wahrgenommen hatten. Ehe sie sich versahen, war das Reh auch schon in ihr verschwunden. Da ihre Neugier geweckt war, betraten sie langsam die düstere Höhle. Nach einigen Schritten wurde es so dunkel, dass sie nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnten. Wobei dies natürlich nur für Sœlve galt, da Lilly mit ihren Vampiraugen auch in der Dunkelheit alles problemlos erkennen konnte.

„Du wirst lieben, was du gleich sehen wirst!“, flüsterte sie ihrer Freundin ins Ohr. Wenn Sœlve jemanden vollkommen vertrauen konnte, dann ihrer Freundin Lilly.

Nach einigen Schritten konnte auch Sœlve in der Ferne ein schwaches Schimmern erkennen, das stärker wurde, je näher sie kamen. Als ob sich ein Fenster in das Universum vor ihnen geöffnet hatte, leuchteten grüne und violette Punkte, wie Sterne am Himmelszelt, an der Wand vor ihnen auf. Immer wieder flammten neue Punkte auf und andere erloschen in unregelmäßigen Abständen. Es dauerte etwas bis Sœlve begriff, dass die Wand mit lauter Glühwürmchen übersät war. Auch wenn sie schon öfters Glühwürmchen gesehen hatte, so war es für sie jedes einzelne Mal so, als ob sie diese das erste Mal in ihrem Leben sehen würde. Lilly hielt nach wie vor ihre Hand und legte ihr einen Finger auf den Mund, damit sie keinen Laut von sich gab. Die beiden setzten sich auf den Boden und genossen den Augenblick.

Sie lehnten sich an die Wand hinter ihnen und kuschelten sich aneinander. Als Lilly ihren Kopf auf Sœlves Schulter legte, begann diese sie leicht zu streicheln.

„Ich hab dich sehr doll lieb!“ Hauchte Sœlve ihrer Freundin in die Haare, die sich daraufhin noch etwas enger an sie kuschelte.

Beide genossen die vollkommene Stille, die sie nun miteinander schweigend verbrachten, bis plötzlich ein lautes Krachen die Luft erfüllte. Durch das einsetzende Echo war nicht mehr erkennbar woher das Geräusch gekommen war. Als sich wieder die Stille in der Höhle ausbreitete, waren die Glühwürmchen verschwunden. Trotzdem leuchtete es noch sanft rün und leicht golden an der Wand, wo eben noch die Glühwürmchen ihr Licht verbreiteten hatten.

Sœlve und Lilly erhoben sich und schauten sich das Glimmen näher an. Eine Art leuchtender Staub bedeckte mit einer zarten Schicht die Felsen. Neugierig berührte Lilly den Staub mit dem Zeigefinger, der sofort grün leuchtete. Sofort griff sie mit beiden Händen nach der Wand und drückte diese dann Sœlve ins Gesicht, das auch sofort anfing zu leuchten. Diese war den Hauch eines Momentes etwas verwirrt bis sie ihre Hände auch einfach gegen die Wand drückte und Lilly lachend den Staub ins Gesicht wischte. Es dauerte nicht lange, bis die beiden vollkommen vom grün und golden leuchtenden Staub bedeckt waren. Ihr Lachen erfüllte die ganze Höhle, das durch das Echo nur noch mehr verstärkt wurde.

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